25.09.2024

KI und künstliche Riffe für besseren Hochwasserschutz

Wo früher die Sirenen heulten, klingeln heute wie am 12. September 2024 zum bundesweiten Warntag überall die Handys. Über die App lassen sich auch sehr punktuell Katastrophenalarme auslösen. Viele wünschen sich bessere Vorhersagen, gerne auch KI-gestützt.

 

Riesige Magmablasen unter dem Yellowstone Park oder den Kanaren sind tickende Zeitbomben. Ein Auseinanderbrechen von La Palma nach einem Vulkanausbruch soll in nicht allzu langer Zeit zig Meter hohe Flutwellen bis nach New York schicken und die Stadt zerstören. Dieses Horrorszenario ist allerdings sehr umstritten, in der Heftigkeit der Auswirkungen zumindest.

 

In Deutschland und Mitteleuropa viel wahrscheinlicher und immer häufiger sind riesige Regenmengen und Hochwasserkatastrophen wie die im Ahrtal im Juli 2021 oder wie zuletzt in den Nachbarländern Polen, Tschechien und Österreich. Hinzu kommen extreme Dürren wie 2022 und 2023 in Brandenburg, als die Wälder quasi geschrien haben vor Trockenheit und sehr schnell Feuer fingen.

 

Wunschdenken: Hier KI, da „Dampfradio“

Auf solche Katastrophen und Extremwetterereignisse besser vorbereitet zu sein, wünschen sich viele in Deutschland und Europa. 71 Prozent der Deutschen befürworten den Einsatz von Künstlicher Intelligenz beim Katastrophenschutz, um bessere Vorhersagen treffen zu können. 64 Prozent vertrauen KI dahingehend sogar mehr als Menschen. Das ergab eine Bitkom-Umfrage zum bundesweiten Warntag am 12. September 2024.

 

„KI kann riesige Mengen an historischen und aktuellen Wetter- und Umweltdaten auswerten und in Echtzeit analysieren. So lassen sich Muster erkennen, die mit hoher Zuverlässigkeit auf bevorstehende Naturkatastrophen hinweisen können“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder.

 

„Zudem können KI-gestützte Warnsysteme automatisch Alarme auslösen, was wertvolle Zeit für Schutzmaßnahmen und Evakuierungen schafft.“

Auch ohne Tsunami geht für die Betroffenen von Hochwasserkatastrophen oft die Welt unter. (Bildquelle: pixabay / fajaws)

Klimawandel fördert „wütende Wasser“

Derweil beschäftigen sich Forschende weltweit damit, wie sich Erdbeben, Starkregen und Hochwasser besser vorhersagen lassen. Nils Goseberg, Professor für Hydromechanik am Leichtweiß-Institut für Wasserbau an der TU Braunschweig, leitet laut t3n das Forschungsprojekt „Angry Waters“ („Wütende Wasser“) und beschäftigt sich mit extremen Strömungsereignissen.

Hochwasserereignisse präzise vorherzusagen ist das Ziel zahlreicher Initiativen weltweit. Bildquelle Pexels / Pok Rie.

Diese können Folge eines Erdbebens und Tsunamis wie in Fukushima oder der japanischen Halbinsel Noto sein, wo am 1. Januar 2024 eine Flutwelle von vier bis sechs Metern Höhe „mehrere hundert Meter bis ins Landesinnere vordringen konnte“, wie er nach einem Besuch vor Ort sagte.

Ebenso können solche Ereignisse aber auch auf Dammbrüche wie 2023 im libyischen Darna oder auf Starkregen zurückzuführen sein. Letztere sind immer mehr Folge des Klimawandels und der zunehmenden Erwärmung der Landmassen und vor allem der Ozeane.

Das Mittelmeer etwa war noch nie so warm wie 2024. In Spanien erreichte der tägliche Mittelwert teilweise 30 Grad Celsius. Die Verdunstungswärme sucht ihren Weg, sich abzuregnen, und kann auch Stürme auslösen, wenn auch noch nicht von der Stärke eines Hurrikans oder Taifuns. Doch auch Sommerorkane in Europa können sehr heftig sein.

 

Tsunami-Simulation im Großen Wellenkanal

Am Großen Wellenkanal (GWK+) des Forschungszentrums Küste der Uni Hannover und der TU Braunschweig versucht Goseberg im Maßstab 1:2 herauszufinden, wie Bauwerke beschaffen sein müssen, um großen Strömungen oder Treibgütern standhalten zu können. Der kurz GWK+ genannte Wellenkanal ist mit 300 Metern Länge, fünf Metern Breite und sieben Metern Tiefe einer der größten weltweit. In einem 28 Meter langen Tiefteil haben die Forschenden kurz nach Einweihung einer Erweiterung im Sommer 2023 bis zu zwei Meter Sand aufgeschüttet, um See- oder Meeresboden zu imitieren. Daran soll nun an einem Hausmodell und einer Dammbruchklappe ab 2025 simuliert werden, wie sich eine Wasserwand vergleichbar mit einem Tsunami auf die Baustruktur des Modells auswirkt.

 

Darüber hinaus wird an der Universität von Hannover ab Herbst 2024 auch ein Versuch laufen, wie Seegras, von dem Ingenieur Torsten Schlurmann „Diven des Meeres“ genannt, zur Stabilisierung von Dünen als Küstenschutz beitragen kann. Auch Nachbildungen der Natur in Form von künstlichen Riffen hält er für sinnvoll. Diese sollen durch ihre besondere Struktur aus Zylindern und Lamellen bis zu 95 Prozent der Wellenenergie ableiten können. Die Kosten für ein entsprechendes fünf Meter hohes Riff mit einer Länge von 1,6 Kilometern schätzt Schurmann auf sechs Millionen US-Dollar, vergleichbar oder sogar dreimal niedriger mit einem herkömmlichen Deich.

 

DWD arbeitet an „Sinfonie“ für bessere Gewittervorhersagen

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) wiederum arbeitet mit dem Projekt Sinfonie an besseren Gewitterprognosen. Denn Gewitter sind schwer vorherzusagen, haben aber oft enorme Auswirkungen auf kleinem Raum. Julia Koch von der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des DWD vergleicht das mit dem Wasser, das in einem Topf zum Kochen gebracht wird: „Wir wissen zwar, dass es anfängt zu blubbern, aber nicht, wo genau die Blasen aufsteigen.“ Das will der DWD durch die Verzahnung von „Nowcasting“ und „Numerischer Wettervorhersage“ ändern, wobei künftig auch KI und Big Data Analytics zum Einsatz kommen sollen.

Solche innovativen Lösungen werden angesichts des Klimawandels und der globalen Erwärmung immer wichtiger. Denn Starkwetterereignisse nehmen zu. Viele Maßnahmen werden dabei auch auf Widerstände stoßen. Diese zu durchbrechen erfordert Mut und finanzielle Anstrengungen, kann aber letztlich Leben retten.

 

 

Quelle Titelbild: pixabay / distelAPPArath