Glasauge aus dem 3D-Drucker
12.08.2024

Additive Fertigung bietet neue Behandlungsmöglichkeiten in der Medizin

Ganze Gebäude kommen heute schon aus dem 3D-Drucker und auch in der Medizintechnik macht additive Fertigung immer mehr Fortschritte. So ist es Ende 2021 mit Hilfe des Fraunhofer IDG gelungen, einem Patienten die erste per „3D-Druck“ erzeugte Augenprothese einzusetzen.

Additive Fertigung in der Medizin erlebt gerade einen Boom. Einer der größten und meist diskutiertesten Durchbrüche diesbezüglich war Ende 2023 der erste 3D-Gewebedruck zum Heilen von Lebererkrankungen. Das grenzt schon fast an Science-Fiction. Doch auch in weiteren Bereichen wie der Augenheilkunde kommt additive Fertigung zum Einsatz.

 

Rund acht Millionen Menschen oder 0,1 Prozent der Weltbevölkerung benötigen nach aktuellen Schätzungen ein künstliches Auge. Die Medizintechnik ist heute sehr weit und künstliche Augen sind nicht mehr starr, sondern mitunter schon an den Augenmuskeln aufgehängt. Dadurch bewegen sie sich mit der natürlichen Bewegung des gesunden Auges mit, auch wenn sie selbst nicht sehen können. War die Herstellung bisher mit lange dauernder, mühsamer Handarbeit verbunden, gibt es mittlerweile Durchbrüche, diese Kunstaugen über Hochleistungs-3D-Drucker additiv zu fertigen. Dafür braucht es auch entsprechende Software.

 

Als Weltneuheit hat das Fraunhofer IDG in Darmstadt in enger Zusammenarbeit mit der britischen Firma Ocupeye Ltd. und dem Londoner Moorfields Eye Hospital eine Cuttlefish:Eye genannte Software entwickelt. Diese hat aus einem 3D-Scan der Augenhöhle und einem farbkalibrierten Foto des gesunden Auge eines Patienten ein sehr lebensechtes virtuelles Modell für den 3D-Druck erstellt. Auf dieser Basis erhielt der Brite Steve Verze im November 2021 als erster Patient überhaupt ein solches künstliches Auge aus dem 3D-Drucker.

Additive Fertigung statt schnöder 3D-Druck

Die führenden deutschen Hersteller wie EOS aus München, Nikon SLM aus Lübeck oder die Fit AG in Lupburg nordöstlich von Regensburg sprechen freilich lieber von additiver Fertigung und überlassen den Begriff 3D-Druck dem B2C-Segment, wo es solche Drucker schon für unter 200 Euro gibt. B2B-Drucker fangen dagegen meist erst bei sechsstelligen Summen an und verarbeiten als Granulat unter anderem auch hochwertige Metalle und Polymere.

Was die Pressemeldung der Fraunhofer-Gesellschaft über den gemeinsamen Erfolg in Großbritannien nicht verrät, ist, dass bei dem C2PAE genannten Projekt auch die Fit AG beteiligt war. Das Unternehmen selbst schreibt sich zugute, mitgewirkt zu haben, dass Steve Verze als erster Patient weltweit mit einer 3D-gedruckten Augenprothese versorgt werden konnte. C2PAE steht für „Click2Print Artificial Eyes“ und ist als deutsch-britisches Projekt im Rahmen des KMU-Programms „Eurostars“ auch vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert.

Ganz so einfach und schnell, wie es scheint, ist es übrigens nicht, ein künstliches Auge aus dem 3D-Drucker zu zaubern. Denn die Software muss dafür unter anderem einberechnen, wie die Farben sich mit den gegebenen Materialien und dem Polyjet-Verfahren verhalten, damit die feinen Äderchen und die künstliche Iris nicht verschwimmen. Der eigentliche „Druck“ ist daher auch keine Sache von wenigen Minuten, sondern dauert Stunden.

 

Weitere Durchbrüche in der Medizintechnik

Auch in der Zahntechnik ist die additive Fertigung schon sehr weit. Allerdings sind hier Materialien gefordert, die weit über normale Kunststoffe für einfache 3D-Drucker hinausgehen. Gleiches gilt auch für Stents, wie sie Fit zusammen mit der Ostbayerischen Technischen Hochschule und dem Universitätsklinikum Regensburg entwickelt, um von einheitlichen Durchmessern und Streben-Stärken wegzukommen, die beim Einsetzen zu Verletzungen der Blutgefäße führen können.

 

Dabei gibt es Stents heute schon in unterschiedlichen Stärken von Durchmessern im µ-Bereich für Koronarstents bis zu 4 cm für Aorten. Die Forschenden aus Regensburg und Fit stellen sich unter anderem die Frage, wie man diese Koronarstents so fein und stabil bauen kann, dass sie sich etwa durch Crimpen mehrfach plastisch verformen lassen, nach der Expansion aber formstabil im Gefäß bleiben. Das erfordert nicht nur eine veränderte Stentgeometrie, sondern auch neuartige additive Verfahren wie Micro-SLM (Selective Laser Melting). Ziel des Gemeinschaftsprojektes ist es, auf Basis dessen die Zulassung für eine neue Generation von Stents zu erlangen.

 

Die hier gezeigten Beispiele sind nur ein kleiner Ausschnitt der technischen Möglichkeiten der additiven Fertigung in der Medizintechnik. Für Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten in aller Welt bieten die Entwicklungen im Bereich 3D-Druck in der Medizin neue Behandlungsmöglichkeiten und Hoffnung auf Heilung.

Quelle Titelbild: Unsplash / Marc Schulte